Montag, 22.10.2018

Über NewMan

 

Eines Tages stand ich vor einem Spiegel und sprach die bedeutungsschweren Worte zu mir selbst: „Ich bin pädophil und stehe weit überwiegend auf präpubertäre Mädchen“. Ohne Wut auf irgendwen oder irgendwas, ohne Verachtung mir selbst gegenüber, ohne ein Fragezeichen des Zweifels, nur mit einiger Traurigkeit in der Stimme. Als ich endlich soweit war, lagen mein 30ster Geburtstag, das eine Jahr intensive Verhaltenstherapie und einige Monate Nachsorgegruppe an der Charité schon hinter mir.

Mein Weg bis dahin war alles andere als geradlinig.

Viele Jahre lang war ich damit beschäftigt, das Offensichtliche mir selbst gegenüber zu verdrängen und zu verleugnen. „ICH stehe auf Frauen und sonst gar nichts.“ Viele Fragen, die ich mir hätte stellen können, oder gar müssen, ließ ich nicht an mich ran. „Ich steh auf Frauen. Basta.“

Über das Konsumieren von Frauenpornos kam ich dann auch in Kontakt mit Kinderpornographie. Mit damals noch legalen No-Nude- und Posing-Fotos. Dann allerdings ließ ich mich immer weiter in den Bereich der, wie ich sie heute nenne, Missbrauchsdokumentationen rutschen und hatte spätestens da die Grenze überschritten.

Rückblickend muss ich sagen, ist es erschreckend, mit was für Scheinargumenten, Ausreden usw. man es „schafft“, sein Gewissen zu betäuben und sich selbst als „hilflosen und wehrlosen Spielball“ seiner Gefühle zu sehen. Gefangen in einem Strudel, der einen immer weiter in seinen Bann zieht, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint… Ein Wechselbad der Gefühle und des Verstandes begann. Mal hasste und verachtete ich mich – mal richtete ich mich in der Einverständnislüge und meiner „Opferrolle“ ein. Erst speicherte ich Bilder, die ich später wieder teilweise löschte und noch später wieder beschaffte. Einerseits fürchtete ich mich davor, aufzufliegen, andererseits hoffte ich darauf… Dann war es so weit: die Hausdurchsuchung begann eines Morgens mit Sturmklingeln und Hämmern an der Wohnungstür. Rückblickend war die HD für mich wie ein „Weckruf“ in ein neues Leben.

Vieles hat sich – habe ich – seitdem verändert. Ich habe mich gegenüber meinen Eltern und Geschwistern geoutet, Kontakt zum Präventionsprojekt „Dunkelfeld“ (www.kein-taeter-werden.de) aufgenommen, mich in der Wartephase auf den Beginn der Verhaltenstherapie mit den Folgen von sexuellem Kindesmissbrauch konfrontiert und beschäftigt, was ich in der Zeit des Konsums immer vermieden hatte.

Nach meiner Annahme und Bezahlung des Strafbefehls bekam ich dann den Therapieplatz, den ich mit großem Engagement nutzte, wusste ich doch, dass ich in absehbarer Zeit Onkel werden würde – Onkel von einer Nichte. So war ich, als es dann soweit war, gut gerüstet – in meinem Selbstbild, mit den erlernten Bewältigungsstrategien und dem Einweihen und Informieren aller wesentlichen Personen – um diese große Herausforderung annehmen und bewältigen zu können.

All diese Ereignisse reihten sich aneinander, wie Perlen auf einer Kette. Und ich denke, ich kann und muss froh sein, dass alles genau in dieser Reihenfolge eintrat…

Ganz wesentlich unter den „Perlen“ dieser Kette: das Präventionsprojekt „Dunkelfeld“. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie mein Leben ohne diese „Perle“ weiter verlaufen wäre. (Mehr hierzu in meinem Text Feuerprobe).

Eine weitere wichtige „Perle“ in dieser Kette ist zweifellos meine Familie. Ihr Umgang mit dem gesamten Thema, sowie ihre Achtung und ihr Vertrauen mir gegenüber. Ich denke, ich darf erleben, welch große präventive Wirkung das Präventionsprojekt „Dunkelfeld“ und ein aufgeklärtes, mitwissendes und kritisches Umfeld (das nicht Pädophilie mit Missbrauch gleichsetzt) zusammen haben.

Und welch wichtiges Präventionspotential vergeudet wird, stellt man auch nur einen dieser wesentlichen Grundpfeiler grundsätzlich in Frage!

Als ich mich mit den Folgen von Kindesmissbrauch konfrontierte, war das gut für meine Opferempathie – aber eine Katastrophe für mein Selbstbild: das Verheerendste für mich war die Gleichsetzung der Veranlagung mit dem Verhalten – der Pädophilie mit dem sexuellen Kindesmissbrauch. Je mehr ich mich informierte und von anderen Betroffenen erfuhr, umso mehr Missverständnisse, Irrtümer usw. wurden mir offenbar und ich beschloss, dagegen anzuschreiben.

Mit dem gewählten Pseudonym „NewMan“ wollte ich mich ursprünglich nur von der Zeit vor der Zäsur abgrenzen. Aber mittlerweile, denke ich, bin ich tatsächlich im Umgang mit diesem Thema und mit mir selbst ein „Neuer Mann“ geworden. Wenngleich das Leben mit der Pädophilie immer seine Schattenseiten, Probleme und Herausforderungen haben wird.

Meine Ziele:

  1. Die Basis jeder Prävention ist korrekte Information. Und so sehe ich das, was ich tue, als einen Beitrag zur Verbesserung der Prävention, zum Schutz der Kinder vor sexualisierter Gewalt.

  2. Die Verbesserung der Situation unserer „Mitwisser“. Unsere Verwandten, Kollegen oder Freunde, die von unserer Veranlagung wissen, werden von der Gesellschaft, genau so wie wir, zum Schweigen verurteilt und müssen lernen, mit ihrem Wissen sinnvoll umzugehen, unschädlich für ALLE Beteiligten. Für sich selbst, für eventuelle Kinder im Umfeld, sowie auch für die verantwortungsbewussten Pädos. Hierbei ist die Vernetzung untereinander sowie fachkundige Unterstützung wichtig und sinnvoll. Was das Projekt „Dunkelfeld“ hier leisten kann, ist zwar besser als nichts, aber längst nicht ausreichend.

  3. Die Verbesserung der Lebenssituation pädophil veranlagter Menschen. Zum einen bezogen auf den innerfamiliären, gesellschaftlichen-medialen und politischen Umgang mit dem Thema. Zum anderen bezogen auf sinnvolle Therapieangebote und vernünftige Grenzsetzungen im Umgang mit den Pädophilen.

 

Medienpräsenz:

  • Ab September 2009 war ich mit dem Beitrag „Meine Feuerprobe“ am Kunstprojekt „Sinn“ Rubrik „Kinder/Liebe“ in Bonn beteiligt.
    Diese Rubrik war ab März 2010 auch in der Ausstellung „Kontinuum“ in Siegen integriert.

  • Deutsches Theater in Berlin „Geschichten von hier Teil II: Kapitulation“ (Uraufführung: 9.09.2010). Auf der Basis eines dreistündigen Interviews entstand ein 20-minütiger Monolog für das dokumentarische Theaterprojekt. Alexander Khuon lieh mir hierfür dankenswerter Weise seine Stimme, Gestik, Mimik. Siehe http://hpd.de/node/10241, Szene12.

    Ab September 2011 wurde das Stück wieder für einige zeit in den Spielplan aufgenommen.

  • Münchner Merkur vom 13.12.2010 (Seite 3) „Der Schatten des Begehrens“ (Katharina Blum) (Web-Ansicht, PDF-Datei; siehe auch HIER und HIER zum Dr. Georg Schreiber Medienpreis)

  • NDR-Reportage 45-Minuten am 19.04.2011 „Das missbrauchte Kind“ (Sebastian Bellwinkel)
    Am 24.05.2011 erneute Ausstrahlung in veränderter Fassung in der ARD um 23:45 Uhr unter dem Titel „Von den Eltern missbraucht, vom Staat ignoriert“. (Hintergrund: An diesem Tag legte der Runde Tisch zum Thema „Sexueller Missbrauch“ auch die Bilanz seiner Arbeit vor.)

    Dies ist der dritte Teil einer Reihe zum Thema in 45-Minuten. Schon die erste Ausgabe trug den Titel „Sexobjekt Kind“, der dritte Teil wurde am 2.09.2013 gesendet und hieß „Kindesmissbrauch: Das Versagen der Politik“
    Hintergrundinfos zu der Reihe unter http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/hintergrund/kindesmissbrauch105.html
    und im Interview mit Sebastian Bellwinkel unter http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/rueckschau/mangelnde-opferhilfe,kindesmissbrauch250.html 

  • RTL Extra am 14.07.2014 (Interviewt von Wolfram Kuhnigk im Rahmen der Recherchen zu Undercover Deutschland)

  • UnAufgefordert, Ausgabe 232 (Oktober 2015): „Eine Dosis Kinderschutz“ (Stephan Detert). Hauptthema dieser Ausgabe der Studentenzeitung der Humboldt-Uni Berlin sind Drogen. Der Artikel beschäftigt sich mit triebdämfenden Mitteln und basiert auf Interviews mit NewMan und Max. Zur PDF-Version der Zeitschrift: http://www.unauf.de/Ausgaben/UnAuf_Nr_232.pdf

  • DRadio Wissen Eine Stunde Liebe am 26.08.2016: „Wir sind pädophil, aber wollen niemals Täter werden!“ (Till Opitz). Weiterer Teil der Sendung: „Therapierbar oder nicht?“ vom 19.08.2016 aus derselben Sendereihe.

aktualisiert: 30.09.2016